Seit Jahresbeginn 2009 gibt es die Ratinger Pfarre St. Anna mit der Hauptkirche St. Anna in Lintorf und den Filialkirchen St. Bartholomäus in Hösel, St. Christophorus in Breitscheid und St. Johannes im Lintorfer Norden. Eine Gemeinde, drei „Vergangenheiten“, vier Kirchen.

Vier ehemalige Gemeinden mit einer sehr unterschiedlichen und gleichzeitig doch sehr ähnlichen Geschichte.

Während St. Anna in Lintorf auf mehr als 500 Jahre Geschichte als eigenständige Pfarrei zurückblickt, wurde die Höseler Gemeinde St. Bartholomäus 1953 selbstständig; St. Christophorus in Breitscheid war seit 1958 eine eigenständige Pfarre und St. Johannes, die Kirche im Lintorfer Norden, erlangte ihre Selbstständigkeit erst 1971.

Der Zusammenschluss der vier Gemeinden begann sich bereits 1996 abzuzeichnen, wenn auch noch nicht in seiner gesamten Tragweite. Der damalige Pfarrer von St. Anna, Franz Mezen, musste aus gesundheitlichen Gründen sein Amt aufgeben. Chris Aarts, Pfarrer in St. Johannes, übernahm zunächst die Vertretung und ab 1997 die Pfarrstelle. Er stellte schnell und doch für alle Beteiligten behutsam genug die Weichen für ein Zusammenwachsen der beiden Pfarreien. Erst der gemeinsame Pfarrbrief, dann der gemeinsame Pfarrgemeinderat und schließlich zum 1. Januar 2000 der offizielle Zusammenschluss zur neuen Gemeinde St. Anna und St. Johannes.

Bald darauf wurde die neue Gemeinde mit den beiden benachbarten Pfarreien St. Bartholomäus und St. Christophorus zu einem Seelsorgebereich vereinigt. Langfristiges Ziel war von Beginn an die Verschmelzung zu einer Pfarre, auch wenn das damals viele Gemeindemitglieder nicht sehen wollten und als Alternative einen losen Verbund der Gemeinden favorisierten. Ein erster Schritt in Richtung der neuen Gemeinde war die Wahl eines gemeinsamen Pfarrgemeinderates 2007.

Im darauf folgenden Jahr wurde in den Kirchenvorständen immer deutlicher, dass auf Dauer der Bestand dreier eigenständiger Gemeinden nicht zu halten war. Im Sommer des Jahres votierten schließlich alle drei Gremien, der Pfarrgemeinderat und der Kirchengemeindeverband für den Zusammenschluss bereits zum 1. Januar 2009. Im März 2009 wurde erstmals der gemeinsame Kirchenvorstand gewählt. Pfarrer der Gemeinde ist Benedikt Zervosen, der zuvor auch schon den Seelsorgebereich geleitet hatte.

 

Historisches

Auch wenn die Gründung der neuen Gemeinde St. Anna mit erheblichen Geburtswehen verbunden war, so ist es doch nur ein kleiner Teil der langen Geschichte der katholischen Kirche in Breitscheid, Eggerscheidt, Hösel und Lintorf. Die Christianisierung im Gebiet der vier Ortschaften erfolgte vermutlich im späten 8. Jahrhundert von Kaiserswerth oder von Werden aus.

 

St. Anna - Lintorf

Die erste Kirche entstand in Lintorf vielleicht bereits im ausgehenden 11. Jahrhundert. Jedenfalls sollen die Fundamente des Turms der 1877 abgerissenen romanischen Annakirche aus jener Zeit stammen. Die Kirche gehörte zu Peter und Paul in Ratingen. Der erste namentlich bekannte Pfarrer ist Johann Rover. Er wird gemeinsam mit Kaplan Lambrecht Rover bereits 1474 im Bruderschaftsbuch der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Lintorf erwähnt. Vermutlich wurde St. Anna in dieser Zeit auch eine eigenständige Gemeinde. Ein genaues Gründungsdatum aber existiert nicht.

In den folgenden Jahrhunderten prägten vor allem die Geschehnisse des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) und der Erzbergbau (ab Mitte des 18. Jahrhunderts) Lintorf. Im Krieg wurde der Ort mehrfach von der Soldateska beider Kriegsparteien geplündert. Es dauerte lange, bis sich Lintorf davon erholte. Interessant ist der Vertrag, den katholische und reformierte Lintorfer 1662 schlossen. Danach konnten beide Konfessionen in der Annakirche heiraten und beschäftigten gemeinsam eine Hebamme. Das anscheinend gute Verhältnis der beiden Konfessionen dokumentieren auch die zahlreichen Mischehen, die in den Heiratsregistern des 17. und 18. Jahrhunderts verzeichnet sind.

Der im 18. Jahrhundert beginnende Erzbergbau führt langfristig zu einer deutlichen Zunahme der Einwohnerzahl. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es so viele Katholiken im Ort, dass das alte romanische Kirchlein für sie nicht mehr ausreichte. Es wurde 1877 abgerissen und durch die neoromanische heutige Annakirche ersetzt.

 

St. Anna und St. Johannes vereint

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs Lintorf erneut, insbesondere im Norden, dem so genannten „Busch“. Dies ließ bereits in den frühen 1950er Jahren die Idee wachsen, dort eine eigene Kirche zu errichten. Erst 1964 wurde aber der Grundstein für die neue Kirche gelegt. Am vierten Adventsonntag 1965 wurde die Kirche von Dechant Wilhelm Veiders, Pfarrer in St. Anna, benediziert. 1971 wurde die neue Pfarre St. Johannes in die – kurze – Zeit ihrer Unabhängigkeit entlassen.

Keine drei Jahrzehnte später, am 1. Januar 2000, wurden die beiden Lintorfer Gemeinden St. Anna und St. Johannes wieder vereint. Sie hatten sich in dieser Zeit scheinbar auseinander entwickelt. Hatten in St. Johannes die Kreuzherren die Seelsorge inne, so war es in St. Anna in jenen Jahren im Wesentlichen Pfarrer Franz Mezen. Tatsächlich aber waren die Verbindungen von vor allem zwei Gruppierungen gehalten worden, die sich für beide Pfarreien zuständig fühlten: Kolpingfamlie und Schützenbruderschaft.

 

St. Christophorus in Breitscheid und St. Bartholomäus in Hösel

St. Bartholomäus und St. Christophorus blicken ebenfalls auf eine ähnlich lange Geschichte zurück. Auch sie wurden von Kaiserswerth und Werden aus missioniert. St. Bartholomäus hatte zudem eine enge Bindung zum Stift Gerresheim. Allerdings war die Bevölkerungszahl in beiden Orten noch geringer als in Lintorf. Eigenständige Gemeinden konnten sich hier kaum entwickeln. Es ist nicht sicher belegt, ob es in Hösel seit dem Spätmittelalter vielleicht eine Kapelle gab. In Breitscheid gab es sie nicht.

Beide Orte gehörten kirchlich zu St. Laurentius in Mintard. Jahrhundertelang besuchten die Bewohner die Kirche an der Ruhr. Von Hösel ein durchaus weiter Weg. 1887 überreichten shließlich die Höseler Katholiken dem Kölner Erzbischof Kremenz anlässlich dessen Firmreise durch das Dekanat Ratingen einen Bittbrief. Sie wünschten sich endlich eine eigene Kirche.

Tatsächlich wurde die Möglichkeit eines weiteren Kirchbaus in der Pfarrei St. Laurentius durch den neuen Mintarder Pfarrer Eitel 1888 untersucht. Überraschend entschied Köln aber im Herbst des selben Jahres die neue Kirche nicht in Hösel sondern in Laupendahl zu errichten. So dauerte es noch einmal bis 1911, ehe Hösel eine eigene Kirche erhielt. Und es vergingen mehr als weitere fünf Jahrzehnte, ehe St. Bartholomäus 1953 eigenständige Pfarrei wurde.

Allerdings gab es vorher noch einige Unstimmigkeiten mit der Mintarder Mutterpfarre. In vermögensrechtlichen und finanziellen Angelegenheiten war St. Bartholomäus Ende der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts immer noch von St. Laurentius abhängig. Obwohl Hösel Mintard längst an Seelenzahl überholt hatte, wurden die Entscheidungen im Kirchenvorstand in Mintard getroffen. Hier hatten die Mintarder aber die Mehrheit.

Nun wollten die Höseler dies bei der bevorstehenden Kirchenvorstandswahl im Jahr 1948 verändern. Da der Weg von Hösel zum Wahllokal in Mintard sehr weit war, sollte nun in Hösel ein eigenes Wahllokal geöffnet werden. Tatsächlich wurden daraufhin vier Höseler, die gleiche Zahl wie Mintarder, in den Kirchenvorstand gewählt. Aber die Mintarder fochten die Wahl an und sie musste wiederholt werden, weil die Wahlordnung kein zweites Wahllokal vorsah. Bei der Wiederholung wurden nur noch zwei Höseler gewählt, die aber aus Protest ihr Amt nicht antraten.

Ab 1951 wurden dann mit dem Kölner Generalvikariat Gespräche zur Verselbständigung der Gemeinde geführt. Sie wurden bald für Hösel positiv beendet. Im Sommer 1953 wurde St. Bartholomäus Pfarrei, zuständig für die Katholiken in Hösel und Eggerscheidt.

Auch Breitscheid gehörte zunächst zur Pfarrei Mintard. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde in Selbeck St. Theresia als Mintarder Filialkirche errichtet. Da Breitscheid damals zur Gemeinde Selbeck-Breitscheid gehörte, war die neue Kirche auch für die Katholiken in dem Dorf zuständig. 1927 wurde St. Theresia unabhängig von St. Laurentius und zwar in den Grenzen der Zivilgemeinde Selbeck-Breitscheid. Als wenig später Selbeck nach Mülheim eingemeindet und Breitscheid selbstständig wurde, blieb die kirchliche Struktur aber erhalten.

 

Gründung des Ruhrbistums Essen

Erst mit der Gründung des neuen Ruhrbistums Essen im Jahre 1957 folgte auch die Trennung der Breitscheider Katholiken von St. Theresia in Selbeck. Die Grenzen des Ruhrbistums verliefen entlang der Stadtgrenzen Mülheims und zerschnitt damit die Pfarrei. Der südliche Teil, Breitscheid, verblieb beim Erzbistum Köln. Pfarrer Gustav Schäfer betreute Breitscheid als Teil seiner Pfarrei natürlich weiter, setzte sich aber für dessen Eigenständigkeit ein. Schon am 1. Januar 1958 die neue Pfarrei geschaffen. Sie hieß zunächst St. Pius X., nach dem heiligen Papst.

Bald übernahmen die niederländischen Kreuzherren die Seelsorge in der jungen Pfarre. 1960 wurde in wenigen Wochen eine Notkirche in einem Pavillon errichtet. Sie sollte 16 Jahre als Gotteshaus dienen. Erst 1976 wurde die neue Kirche, der „Rote Turm“, eingeweiht. Schon in den 60er Jahren war die Pfarrei in St. Christophorus umbenannt worden. Grund war, dass die neue Kirche auch als Autobahnkirche geplant war. Da passte der heilige Christophorus besser, ist er doch der Schutzheilige der Reisenden, Pilger und Autofahrer.

Die Ära der Kreuzherren endete 1985 in St. Christophorus, als der Berufsschulpfarrer Johann-Christoph Goethe als Pfarrverweser nach Breitscheid kam. 1993 folgte ihm Dechant Kreuzberg, der auch Pfarrer in St. Bartholomäus war. Nachfolger von Dechant Kreuzberg wurde in St. Christophorus und St. Bartholomäus Benedikt Zervosen, der erste Pfarrer der neuen Gemeinde St. Anna, Ratingen.